Ein viertel Jahrhundert
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Halbzeit
29. November 2017

Vom Baltikum und dem ersten Schnee

Ihr Lieben,

eine Weile hab ich jetzt nichts mehr von mir hören lassen, aber dafür gibt es nun auch wieder einiges zu erzählen. :)
Unser erstes Oktober-Wochenende verbrachten Sabine und ich spontan in Tartu. Die Universitätsstadt liegt in der östlichen Mitte Estlands, ist die zweitgrößte Stadt des Landes und eine 2,5-stündige Busfahrt von Tallinn entfernt. Wir buchten uns zwei Betten in einem günstigen Hostel direkt am Marktplatz, das so gemütlich war, dass ich fast traurig war, nur eine Nacht dort verbringen zu können. Ein weiteres Plus in Tartu war, dass Lars dort wohnt und wir so unseren persönlichen Reiseführer hatten. :)
Es war zwar ein verregneter und ungemütlicher Samstag, aber Tartus Parks waren einfach so herbstlich schön, dass uns das Wetter gar nichts ausmachte. So spazierten wir den ganzen Nachmittag durch buntes Laub, über kleine Brücken, am Fluss entlang und durch die Stadt. Danach hatten wir ein sehr leckeres und sättigendes Essen beim Mexikaner im Western-Stil und später am Abend lernten wir noch einige Freunde von Lars kennen. Vom Studentenwohnheim ging's dann zur "Querween-Party", eine verfrühte Halloween Party für Homosexuelle und Freunde. Die Party fand in einem riesigen Altbauhaus statt, deren Räume einfach zu Bar, Tanzflächen und Raucherraum umgebaut wurden. Die Stimmung war sehr ausgelassen, weil einfach jeder tat was er wollte und es schlichtweg niemanden interessiert hat, wer wen küsst oder wer mit wem wie tanzt. ;) Am nächsten Tag überraschte uns Tartu dann mit schönstem Sonnenschein und wir besuchten einen kleinen See und liefen noch ein wenig durch die Stadt, bis wir am späten Nachmittag den Zug zurück nach Tallinn nahmen.

Die darauffolgende Woche war eher wenig ereignisreich, worüber wir eigentlich auch ganz froh waren. Ich war ein bisschen krank nach dem Tartu-Trip und habe zwei Tage mit Bett, Hühnersuppe und Filmen verbracht, wir sind zum ersten Mal ins Kino gegangen (englischer Originalton, estnische und russische Untertitel) und waren auf einer Geburtstagsparty mit vielen lauten und lustigen Amerikanern. Bis wir uns dann schließlich am nächsten Montagmorgen um 9 Uhr auf den Weg zum Busbahnhof machten, um uns die zwei anderen baltischen Hauptstädte anzusehen.

Erstes Ziel von Sabine, Jérôme und mir war Riga, das wir am Montag gegen 14 Uhr erreichten. Wiedermal hatten wir Glück mit dem Wetter, so dass ich als allererstes meine Sonnenbrille rauskramte, bevor wir uns auf die Suche nach dem Hostel machten. Dieses Mal waren wir in einem Zimmer mit 14 Betten, von denen aber nicht alle belegt waren, da es langsam nämlich wirklich zu kalt für Urlaub im Baltikum ist. Auch hier hatten wir wieder ein gemütliches Hostel gefunden, das auch noch sehr sauber war und man hätte sogar zum Sonderpreis Yoga dort machen können... ;) Nachdem wir unsere Sachen abgestellt hatten und vom Hostelpersonal mit einem Stadtplan ausgestattet wurden, machten wir uns auf den Weg durch die Altstadt Rigas. Hier gibt es viele farbenfroh sanierte Altbauten, viele Kirchen ganz verschiedener Stile und einige Parks, die immer noch herbstlich schön gefärbt waren. Außerdem liegt Riga an einem großen Fluss, der Daugava, von der wir noch nie zuvor gehört hatten... Die Hauptattraktion Rigas ist wohl der Rathausplatz mit seinen Gebäuden, leider wird hier zur Zeit aber gebaut und vieles ist hinter bedruckten Planen an Baugerüsten versteckt, weshalb ich euch davon leider kein Foto zeigen kann. Neben den vielen Kirchtürmen sind kennzeichnend für das Stadtbild zwei große Brücken, die über die Daugava zum westlichen Teil der Stadt führen. Witzigerweise fühlt man sich in Riga an einigen Stellen ein bisschen wie in Deutschland, denn während eine der zwei Brücken ziemlich an Düsseldorf erinnert, ähnelt die andere Brücke stark der in Köln. Zwischen den Originalen liegen etwa 40km, in Riga jedoch muss man nur eine 1km Distanz überwinden, um von Ort zu Ort zu kommen. Wahrscheinlich würde das aber weder die Düsseldorfer, noch die Kölner sehr erfreuen.. ;) Auch gibt es in Riga eine Art Nachbildung der Bremer Stadtmusikanten. War wohl ein Geschenk der Hansestadt Bremen an die Hansestadt Riga, da die beiden Partnerstädte sind. In Anbetracht der verzerrten Fratzen der vier "Musikanten" jedoch ein eher unliebsames Geschenk, wenn man mich fragt... ;)
Am Abend hatte Jérôme über TripAdvisor ein gutes Restaurant für uns gefunden, das in einem Kellergewölbe untergebracht war und uns mit leckerem lettischen Essen und Bier versorgte. Der 20-minütige Stromausfall hat die gemütliche Kerzenschein-Stimmung dort noch deutlich verstärkt - vielleicht ein extra Service des Restaurants für das echte Mittelalter-Gefühl. ;) Am Dienstagmorgen war es dann sehr kalt in Riga, die -1° fühlten sich eher wie -5° an und das bunte Laub im Park war überzogen von Frost, aber immerhin schien wieder die Sonne! Wir schauten uns nun noch die restlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt an und liefen insgesamt ziemlich viel, denn Riga ist deutlich größer als Tallinn. Wir genossen den Blick auf die Stadt bei Kaffee in der Radisson Skyline Bar, besuchten die Nationalbibliothek Lettlands auf der anderen Seite des Flusses, hatten Pizza und spazierten über den Zentralmarkt, der mich ziemlich an die Lebensmittel- und Kleidungsmärkte in Polen erinnerte. Nachdem wir für das Abendessen im Hostel eingekauft hatten, liefen wir noch zur Akademie der Wissenschaften, ein hübsches altes und recht hohes Gebäude, auf dessen Dach wir uns Riga in der Dämmerung anschauten. Zum Abschluss des Tages hatten wir dann noch den ersten Glühwein in diesem Winter (bei -1° fanden wir, es sei an der Zeit...) und fielen schließlich sehr müde ins Bett.

Nächsten Morgen ging es dann mit dem Bus weiter nach Vilnius, Litauen. Auch hier kamen wir nach ca. 4-stündiger Fahrt gegen zwei Uhr nachmittags an, dieses Mal leider ohne Sonne, aber auch ohne Regen. Nachdem wir ins recht alternative Hostel eingecheckt waren, liefen wir erstmal die Sehenswürdigkeiten rund um den Altstadtkern ab, da wir am nächsten Tag eine kostenlose Stadtführung durch die Altstadt mitmachen wollten. In Vilnius gibt es ein Künstlerviertel, dessen Bewohner sich zu einer unabhängigen Republik ("Užupio Res Publica") zusammengeschlossen haben mit eigener Verfassung, Flagge und Präsidenten. Wer mal ein bisschen schmunzeln will, kann sich die 41 Grundsätze der Verfassung hier durchlesen. Außerdem gibt es die "Drei Kreuze", die auf einem Berg in Vilnius stehen und von denen aus man über die gesamte Altstadt blicken kann. Auf einem weiteren Hügel steht der "Gediminas-Turm", der einzig noch erhaltene Teil der alten Burg von Vilnius. Hier mussten Sabine und Jérôme dann allerdings ohne mich aufsteigen, da meine Füße einfach nicht mehr so recht weiter wollten... Auch am ersten Abend in Vilnius probierten wir dann wieder die lokale Küche aus und ich hatte sehr leckere selbstgemachte Kartoffelpuffer mit Dillsoße und drei verschiedenen Sorten Fleisch. Das ganze gab's für 9€, was für die Größe der Portion und Schwein + Rind + Hühnchen denke ich ein sehr fairer Preis ist. :) Als wir das Restaurant verließen, erwartete uns draußen dann tatsächlich der erste Schnee! Meine Wetter-App hatte das zwar vorhergesagt, aber so richtig dran geglaubt hatten wir noch nicht. Und ok, es ist eigentlich wirklich zu früh für Schnee, aber ehrlich gesagt habe ich mir mein Semester im Norden genau so vorgestellt. Ich finde, verfrühter Schnee gehört einfach dazu und deshalb habe ich mich sehr über das bisschen weiße Pracht gefreut. ;) Leider schlug der Schnee recht bald in Regen um und so regnete es auch am Donnerstag während unseres Stadtrundgangs die meiste Zeit weiter. Wir schauten uns noch mehr von der Altstadt an, bekamen geschichtlichen Input zur Stadt und interessante Informationen zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten, wie zum Beispiel, dass eine von Vilnius' Kirchen auch schon als Bordell im Einsatz war.. ;) Den restlichen Tag verbrachten wir, neben dem Sightseeing, hauptsächlich mit Essen und Trinken, weil es doch recht kalt war und wir noch jede Menge Zeit rumkriegen mussten bis unser Nachtbus zurück nach Tallinn fuhr. Dadurch, dass wir noch so viel Zeit hatten, war es aber auch ziemlich entspannt und so konnten wir um 23 Uhr satt, ohne Hektik und voll von neuen Eindrücken in den Bus steigen.

Jetzt, da ich alle drei baltischen Hauptstädte gesehen habe, kann ich sagen, dass Tallinn für mich noch immer die schönste ist. Sicher lassen mich die Erlebnisse der letzten Monate hier nicht mehr sehr subjektiv sein, aber die mittelalterliche Altstadt Tallinns ist für mich einfach noch schöner als die Altstädte Rigas oder Vilnius'. Deshalb bin ich auch am Freitag, nachdem ich den Schlaf aus der Nacht im Bus nachgeholt hatte, auch eine große Runde durch die Stadt gelaufen. Auch in Tallinn hatte es den ersten Schnee gegeben und zwar weit mehr als in Vilnius. Hier blieb der Schnee mehrere Zentimeter dick liegen und die Stadt hatte sich ins Winterwonderland verwandelt, was ich leider nur auf Fotos von Freunden sehen konnte. Ich bin ziemlich traurig den ersten Schneefall hier nicht miterlebt zu haben, aber immerhin lag noch ein kleiner Rest auf den Dächern und sicher wird es auch bald wieder schneien, dann gibt es auch mehr hübsche Fotos. :)
Bis dahin erwarten wir noch einigen Besuch. Gerade ist eine Freundin von Sabine hier, morgen kommt Sabines Bruder für zwei Tage in die Stadt und am Samstag erwarte ich dann schließlich meinen ersten Besuch aus Deutschland - meine Omi. :) Darauf freue ich mich sehr und dann erzähle ich euch von unseren gemeinsamen Erlebnissen hier. :)

Alles Liebe,
Sarah

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